Fado bedeutet zu deutsch „Schicksal“ und die gleichnamige urbane Nationalmusik Portugals, das noch andere Volksmusiken besitzt, prosperiert seit hundertfünfzig Jahren. Mit Mariza besucht der gegenwärtige Fado-Star Zürich.
Kann man nicht nach Lissabon reisen, schlägt man den Foto-Band „Fado“ auf. Die Bilder entführen nach Alfama und ins Bairro Alto, ein Viertel mit zahlreichen Tavernen und Restaurants. Entstanden sind die Fotos zwischen 1981 und 1995, eingefangen wurde aber ein Ambiente, das in den 20er-Jahren stehen gebliebenen zu sein scheint. Einfache Leute schlagen sich an Steintischen in Tavernen, die hunderte von Jahre alt sein dürften, mit Plaudern und Trinken die Zeit tot oder versammeln sich in Fado-Lokalen um die Musiker und eine dramatisch gestikulierende Fadista. Ein älterer Herr mit Hut zupft die Guitarra Portuguésa, eine zwölfsaitige Laute, neben ihm begleitet ein junger Mann mit der sechssaitigen spanischen Gitarre: die instrumentale Urbesetzung des Fado.
In den Quartieren, wo der Fado Lissabons lebt, hat sich kaum etwas verändert. Gesungen wird Fado sowohl von professionellen als auch von dillettierenden Sängerinnen und Sängern, die die Texte mit Inbrunst und Leidenschaft vortragen. Fado polarisiert vor allem in unseren Breitengraden, wo man mit direkt ausgelebten Gefühlen oft Mühe bekundet und Fado erfordert unverklemmte Bereitschaft zur emotionalen Hingabe, und zwar sowohl vom Interpreten als auch vom Publikum. Hingabe für eine narrative Musikform, die wunderbar unmodern Wehmut, Liebesschmerz, Sehnsucht, Verlangen und Trauer - alles unübersetzbar im portugiesischen Begriff „saudade“ zusammengefasst - zelebriert.
Die Geschichte des Fado erweist sich als diffus. Eine interessante Version berichtet, dass er sich aus dem afrobrasilianischen Lundu entwickelt habe, der nach der Unabhängigkeitserklärung Brasiliens (1822) von Portugiesen aus der ehemaligen Kolonie nach Hause gebracht worden sei. Andere Musikhistoriker hören im Fado maurische Einflüsse, was durchaus etwas für sich hat. Wie auch immer: ab Mitte des 19. Jahrhunderts setzte sich Fado in der urbanen Unterschicht durch, gegen Ende des Säkulums wurde er auch in gehobeneren Kreisen schick. Es gibt zwei Ausrichtungen: die Grossstadt-Form aus Lissabon und die intellektuellen Versionen aus der Universitätsstadt Coimbra, die unter anderem von klassischen Lyrikformen wie der balladesken Modinha geprägt sind. Einen Knick erhielt die Geschichte des Fado ab 1926, als die Faschisten die Macht im Land übernahmen. Zunächst als „links“ eingestuft, missbrauchten die Faschisten den Fado bald für ihre Zwecke, was dazu führte, dass man in Portugal noch geraume Zeit nach der „Nelkenrevolution“ von 1974 über Fado die Nase rümpfte.
Im Jahr des Umbruchs war die 1955 geborene Mísia neunzehn und sie sollte etwas später zu den entscheidenden Erneuerinnen des Fado gehören. Es waren und sind - die Fadosänger in Ehren - vor allem die Fadistas, die diese Musik mit einer ungeheuren Vielfalt an stimmlichen Varianten interpretieren und in die Gegenwart geführt haben. Die grösste Fado-Legende Amália Rodrigues (1920-1999) prägte mit ihrem opernhaft theatralischen Vortrag eine ganze Generation. Mísia, Tochter einer spanischen Tänzerin und eines Portugiesen, griff den dramatischen Gesang einer Amália auf, moduliert allerdings metallischer und trägt das Image einer unnahbaren Existenzialistin oder Waverin zur Schau. Pagenschnitt, dunkle Brille, Miniröcke: das war neu! Und obschon Mísia dem Fado generell treu bleibt, machen sich auf dem bisher letzten Set „Drama Box“ in Tangos und Boleros auch ihre hispanischen Wurzeln bemerkbar.
Um den Reichtum an Fadista-Stimmen aufzuzeigen, sei hier zum Beispiel die junge, in Frankreich lebende Bévinda erwähnt, die ihre lyrische Stimme von einem oft um Akkordeon oder Streicher erweiterten Instrumentarium begleiten lässt. Diametral entgegengesetzt phrasiert die 1969 geborene Dulce Pontes kindlich-poppig, womit sie sich der portugiesischstämmigen Kanadierin Nelly Furtado annähert, die auch schon dem Fado ihren Tribut gezollt hat.
Ältere Koryphäen wie die Fado-Restaurant-Besitzerin Maria da Fé treten immer noch auf und sie bleiben oft bis weit über die Pensionierung hinaus aktiv, denn Fado ist kein asthmatischer Trend, sondern ein Lebensgefühl. Besonders schön aber mutet es einen an, dass heute ein Star wie Mariza den Fado mit ihrer „sachlichen“, nichtsdestotrotz aber beseelten Stimme veredelt und den afrikanischen Teil seiner Wurzelstränge freilegt. Marizas Mutter stammt aus Mozambique und die 1973 dort geborene Fadista hatte auf ihrer CD „Transparente“ (2005) im Titelsong „wie in einem Märchen die afrikanischen Trommeln in Gitarren und die Kokospalmen in Sonnenblumen“ verwandelt.
Mariza
8. Dezember
Kongresshaus
Zürich
„Fado/ Matar Saudades“ (Compilation), 2 CDs, Wagram Music / „Queens of Fado”, Vol. I & II, 4 CDs, ARC Music / Mísia: “Drama Box”, Naïve / Mariza: “Transparente” & “Terra”, beide EMI